Als ich Anfang 20 war, sagte mein Vater, als wir in seinem neuen Mercedes saßen: „Du brauchst jetzt einen Mann, ganz egal wen, Hauptsache der ist Türke und Moslem.“ Wenn es mal wieder Zeit war für so ein Heiratsgespräch unter vier Augen, schickte uns meine Mutter immer zu zweit vor, um selbst mit meinem Bruder etwas später nachzukommen.
Neulich fragte mich meine Freundin Meike danach, ob auch ich zwangsverheiratet werden soll. Ja, sagte ich, für einen Traktor und vier Kamele, wenngleich es damals in Südostanatolien gar keine Kamele gab.
Und der Traktor sollte schon in die Braut deren älteren Sohnes investiert werden. Insofern kam für mich ein Kerl aus der Landwirtschaft nicht mehr infrage. Dann löste ich ihre Schockstarre mit der Bemerkung auf: „Das war nur ein Scherz, sozusagen getürkt.“
Vielleicht wäre ja so eine Zwangsheirat für mich gar nicht so schlecht gewesen, hätte sie mir doch diese lästige Sucherei erspart. Nein, ein Kopftuch trage ich nicht, arbeite als Journalistin in Berlin und habe immer noch keinen Ehemann, dafür aber wenig Geld und viel Stress. Manchmal besuche ich im Ruhrgebiet meine Eltern und wenn ich in die Türkei fahre, kommt jedes Mal die Frage: „Hast Du endlich einen Hans gefunden?“
Nein, einen galanten Hans, der mir die Autotür aufhält, konnte ich noch nicht finden. Und türkische Männer, die so etwas machen, trauen sich gar nicht mehr in meine Nähe. So bin und bleibe ich wohl das Sorgenkind der Familie. Da Sie meine Familie noch nicht kennen, entführe ich Sie nun in ein Deutschland, das Ihnen gewiss gänzlich unbekannt sein wird.
Ruhrpott-Geschichten aus 1001 Nächten wurden da geschrieben von einem anatolischen Landwirt und Analphabet, der als mein Vater nach Deutschland kam, um Arbeit zu finden. Es fängt schon damit an, dass er ab plus zwei Grad Celsius im Garten den Grill anschmeißt, um massenweise Hammelfleisch zu brutzeln. Klar, dass es ihm besonderes Vergnügen bereitete, als ich ihm verkündete, dass ich ab jetzt Vegetarierin bin.
Ich habe noch drei Schwestern und zwei Brüder. Mustafa ist Anfang 20 und ziemlich intelligent. Würde er es wollen, könnte er perfekt Deutsch sprechen. Nach seiner Freundin befragt, lautet seine Antwort typischerweise so: „Ey, hab isch mit die Schluss gemacht.“ Nach meinem Korrekturversuch folgt dann sein Nachsatz: „Ischt doch Määdschen, ischt doch die.“
Mein zweiter Bruder ist 29 und mit seinem Studium fast fertig. Er ist stolzer Besitzer von drei brummenden Computerläden im Ruhrgebiet. Für meinen Vater gelte ich als die am schwersten vermittelbare Tochter, weil bei ihm nur ein einziges Mal jemand um meine Hand angehalten hat. Bei meinen Freundinnen gaben sich die Handanhalter sozusagen die Klinke in die Hand.
Aber der Reihe nach: Meine Eltern hatten sich an der türkischen Ägäis ein Ferienhaus gekauft. Es war ein sonniger Sonntag und die Möwen kreisten hungrig über unseren Köpfen. Ich trank türkischen Tee aus einem Kaffeebecher mit der Aufschrift ‚I love NY‘, dazu gab es Sesamkringel und Schafskäse. Dabei beobachtete ich meine Mutter beim Ernten von Strauchtomaten.
Dann kam mein Vater und flüsterte ihr etwas ins Ohr, um sogleich wieder zu verschwinden. Daraufhin setzte sich meine Mutter zu mir und sagte: „Kizim (meine Tochter), gleich kriegen wir Besuch. Ich würde mich daher freuen, wenn du dich jetzt wäschst und ein schönes Kleid anziehst. Diese Leute bringen ihren Sohn mit, der übrigens gut zu dir passen würde.“
Aber vielleicht sollte ich mich erst mal selber vorstellen: Ich heiße Hatice, bin Türkin mit deutschem Pass und für Politiker gewiss Paradebeispiel gelungener Integration. Für den deutschen Mann bin ich eher eine exotische, verbotene Frucht. Die erste Frau des Propheten Mohammed hieß auch Hatice.
Ich versuche, in zwei Welten, die man nicht unter einen Hut bringen kann, zurechtzukommen. Beide Gesellschaften können sich einfach nicht verstehen. Ich stehe auf große Männer, außerdem wünsche ich mir eine Tochter und gelte als realistisch und unromantisch. Zu beruflichen Terminen erscheine ich in hohen Schuhen, mit großen Ohrringen und tiefem Dekolleté. Doch in der Türkei ist eine Frau nun mal eine Lady.
Für die Türken heißen alle Deutschen Hans und Helga. Beim ersten Date mit Hans, das ist ja klar, wird getrennt bezahlt und dann sitzt man den ganzen Abend beieinander und diskutiert.
Neulich saß ich mal wieder mit meinem Vater allein im Auto.
„Du bist jetzt 35“, war seine betont beiläufige Frage, „du kannst jederzeit bei uns einziehen und wenn wir nicht mehr sind, kannst du bei deiner Schwester wohnen.“
Die Autorin
Hatice Akyün ist 1969 in Zentralanatolien in Akpinar Köyü geboren. Drei Jahre später kam sie mit der Familie nach Deutschland. Als freie Journalistin schreibt sie für Emma, Spiegel und Tagesspiegel und lebt heute in Berlin.