Header Image

Michael Jürgs: DER KLEINE FRIEDEN IM GROSSEN KRIEG: Westfront 1914: Als Deutsche, Franzosen und Briten gemeinsam Weihnachten feierten

Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs gönnten sich einfache Soldaten in den Schützengräben Weihnachten 2014 aus einem spontanen, gemeinsam empfundenen Gefühl heraus gegenseitig einen kurzen Waffenstillstand. Was später aus diesen Menschen wurde, erzählt der Bestsellerautor Michael Jürgs, zum ersten Mal übrigens aus deutscher Sicht.

Flandern im Dezember 1914. Deutsche Soldaten befinden sich in einem zermürbenden Stellungskrieg gegen Briten, Franzosen und Belgier. Die Distanzen zwischen ihnen betragen kaum 100 Meter. Sie verharren auf einem Teil der völlig erstarrten Frontlinie von der Nordsee bis zur Schweizer Grenze. Der durchaus mögliche Durchbruch kaiserlicher Truppen war von ungefähr 6.000 Pariser Taxifahrern verhindert worden, die mit einer patriotischen Sternfahrt circa 30.000 Soldaten an diesen Frontabschnitt gekarrt hatten.

Die anfängliche Kriegsbegeisterung, die die Menschen noch im August angetrieben hatte, war bereits weitgehend erstorben, immerhin waren schon Hunderttausende junger Männer völlig sinnentleert gefallen. Der von wochenlangem Herbstregen aufgeweichte Boden war inzwischen tiefgefroren und Schnee bedeckte die vielen erstarrten Leichen, die aus dem Niemandsland niemand zu bergen vermochte, das war viel zu gefährlich.

Doch schon am Vormittag des 24. Dezembers begannen die Soldaten an der Westfront, ihre Waffen niederzulegen, und zwar ohne jeglichen Befehl dazu. Stattdessen wurden spontan gebastelte Pappschilder mit Weihnachtsgrüßen hochgehalten: Merry X-Mas, Frohe Weihnachten oder „WE NOT FIGHT – YOU NOT FIGHT“ stand da auf beiden Seiten der Front zu lesen. Mutige Männer hatten Vertrauen gefasst und kletterten aus ihren Schützengräben. Stille, es fiel wirklich kein Schuss und andere folgten, bis sie alle ungeschützt oben standen. Hüben wie drüben werden nun eilig die toten Kameraden gemeinsam beerdigt.

Bald wurde es dunkel, Tannenbäume begannen zu leuchten und die offiziell verfeindeten jungen Männer sangen gemeinsam, jeder in seiner Sprache, die Friedensbotschaft um Christmas, Weihnachten und Noel. Am nächsten Tag werden sogar Geschenke gegenseitig ausgetauscht, Fotos von ihren Familien machen die Runde, sie essen und trinken zusammen und spielen demonstrativ Fußball im Niemandsland. Sogar einige Offiziere schließen sich dieser spontanen Verbrüderung an und einigen sich darauf, dass endlich Schluss sein muss mit diesem sinnlosen Morden: „à bas la guerre, no more war, wir wollen leben“.

Doch nach zwei Tagen kam der gefürchtete Befehl von oben, denn den obersten Heeresleitungen gefiel diese Ruhe gar nicht. Krieg ist ihr Geschäft, nicht Frieden. Wer nicht schießt, wird bestraft. Am dritten Tag beginnen sie zaghaft, nach vorheriger Absprache über die Köpfe hinweg zu schießen, aber lange lässt sich das so nicht aufrechterhalten und das verordnete Morden ging wieder los. Bis 1918 sollte das dann noch dauern und Millionen Menschen fielen dem Irrsinn zum Opfer.

Michael Jürgs hat alles genau recherchiert, indem er unter anderem Regimentstagebücher in englischen, französischen und belgischen Archiven studierte sowie die Ur-Ur-Enkel der Männer befragte, die damals in jenem Niemandsland zusammen Weihnachten feierten.

Der Autor

Michael Jürgs wurde 1945 geboren und war Chefredakteur bei Stern und Tempo. Als erfolgreicher Journalist hat er sich auch durch mehrere Biografien einen Namen gemacht, dazu gehören die Bestseller „Der Fall Romy Schneider“, „Die Treuhänder“, „Der Fall Axel Springer“, „Gern hab‘ ich die Frau’n geküsst“ (über Richard Tauber), „Bürger Grass“ oder „Alzheimer“. Seine Biografie über Axel-Springer wurde sehr erfolgreich verfilmt.