Wer arbeitet, macht Fehler, heißt es so trefflich. Das findet auch die französische Bestsellerautorin Corinne Maier. Allerdings arbeitet sie tatsächlich, und zwar als leitende Angestellte des französischen Energiekonzerns EDF. Sie zeigt unverblümt, wie jeder in einem Unternehmen seine ganz individuelle Nische finden kann. Man darf es sehr wohl als einen etwas ketzerischen Aufruf zu Individualismus oder besser gesagt zu Ineffizienz bei sicherer Lohnfortzahlung auffassen.
Als „Held der Arbeit“ galt früher derjenige, der loyal und treu ergeben seinem Arbeitgeber dient, ohne dabei auf die Uhr zu schauen. Doch heute zählen ganz offensichtlich andere Qualitäten. Man schütze sich am Arbeitsplatz mit „aktiver Distanzierung“. Eine Umfrage ergab, dass circa 17 Prozent aller Angestellten in Frankreich diese Methode sehr erfolgreich praktizieren. Faktisch bedeutet dies, dass all diese Menschen einer Arbeitsmoral frönen, die man eher mit Sabotage bezeichnen könnte.
Wie konnte das alles so kommen? Eine exzellente Ausbildung ist schon lange keine Garantie mehr für einen sicheren Arbeitsplatz und für eine steile Karriere schon gar nicht. Und die Rente ist sicher, hat aber auch nur Norbert Blüm geglaubt. Im Grunde genommen ist ein Unternehmen schon ein ziemlich absurdes Gebilde, heute völlig ungeeignet für den persönlichen Erfolg. Dunkle Machenschaften, Finanzskandale und sogenannte Sozialpläne haben längst den Glauben der Mitarbeiter an ihre vermeintlichen Führungskräfte untergraben und jegliches Gefühl von Loyalität oder Solidarität zerschlagen.
Erwachet also endlich all ihr kleinen Angestellten, Neosklaven, Lohnabhängigen, Hilfskräfte des ökonomischen Prozesses und Verdammte des Tertiärsektors! Wohl dem, der sich den Kapitalismus dahingehend zunutze macht, selbst darüber zu entscheiden, in welchem Maße er sich ausbeuten lässt beziehungsweise sogar selbst ausbeutet. Und all den vielen anderen des Arbeiterheeres wünscht die Wirtschaftswissenschaftlerin, dass es ihnen gelingen möge, dem freien Spiel der Kräfte so weit wie möglich auszuweichen.
Die Geschichte hat uns oft genug gezeigt, was von Revolutionen zu halten ist, also müssen die kleinen Leute ihre Überlebensstrategie viel subtiler anlegen: „Einfach faul sein“ mag etwas polemisch anmuten, aber es ist zugleich ein wirklich befreiender Aufruf zu einem diskreten Rückzug innerhalb eines Unternehmens. Die Autorin weist den Weg, wie jeder mit äußerst mäßiger Leistung risikolos und dauerhaft abkassiert. Damit das auch wirklich klappt, gibt sie uns wertvolle zehn Gebote mit auf den Weg:
- Innerhalb eines Unternehmens kann sich niemand wirklich selbst entfalten. Man bekommt lediglich Geld für seine Arbeit, aber nicht mehr.
- Das System kann niemand verändern. Durch Widersetzung wird es nur noch stärker. Schauen Sie sich nur an, wo die Revoluzzer von 1968 heute stehen.
- Jeder sollte sich so gut wie möglich verkaufen, aber so wenig wie möglich arbeiten und sein ganz besonderes Netzwerk von Beziehungen aufbauen. Auf diese Weise ist man bei jeder Umstrukturierung geradezu unantastbar.
- Nicht die Qualität ihrer Arbeit ist der Maßstab Ihres Wertes, sondern Ihre Fähigkeit, sich schnell und artig an das propagierte Modell anzupassen. Eignen Sie sich die jeweilige Sprache der Unternehmenskommunikation an und man wird auf sie hören.
- Vor einer wirklich verantwortungsvollen Position sollten Sie unbedingt Reißaus nehmen, denn das bedeutet immer unbezahlte Mehrarbeit.
- Begeistern Sie sich in großen Unternehmen für die überflüssigsten Tätigkeiten wie Forschung, Beratung oder Gutachten. Ihr tatsächlicher Beitrag an der Wertschöpfungskette im Unternehmen ist überhaupt nicht bestimmbar, wenn Ihre Stellenbeschreibung besonders abstrakter Natur ist.
- Veränderungen sind Gift. Gehen Sie der Geschäftsführung aus dem Weg.
- Sie haben viele Gleichgesinnte. Sie sind zu erkennen an ihrer Art zu lächeln oder Witze zu machen, zuweilen auch an ihrer Kleidung. All diesen Kollegen ist die Absurdität des Systems mehr oder weniger klar geworden.
- Praktikanten oder befristet Beschäftigte sind meistens noch sehr motiviert. Demotivieren Sie diese Idealisten nicht und seien Sie besonders herzlich zu ihnen.
- Die Leitlinien des Unternehmens sind mit Sicherheit nicht besser als jene des Marxismus/Leninismus beziehungsweise des dialektischen Materialismus. Alles hat nur seine Zeit und bricht früher oder später zusammen.
Gewiss provoziert Corinne Maier mit ihrer Ironie und Polemik extra. Ihrem Arbeitgeber hatte ihre Art, sich zu äußern, sehr missfallen und leitete sogar ein Disziplinarverfahren gegen sie ein, woran sich eine hitzige, öffentliche Debatte entzündete. Genau das spielte Corinne Maier in die Hände, denn nun ging es um ein Skandalbuch mit Sprengkraft. In diesen Zeiten der ständigen erzwungenen Gewinnmaximierung durch Lohndumping und Arbeitszeitverlängerung ist das Buch geradezu eine Waffe für alle geknechteten kleinen Arbeitnehmer.
Die Autorin
Corinne Maier, Jahrgang 1964, ist Volkswirtin, Politologin und Psychoanalytikerin. Ihre Leidenschaft gilt dem Schreiben und der „Entstaubung“ der Psychoanalyse.